G. D. Feldman u.a.: Österreichische Banken und Sparkassen...

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Titel
Österreichische Banken und Sparkassen im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Band 1. Creditanstalt-Bankverein, Band 2. Länderbank und Zentralsparkasse


Autor(en)
Feldman, Gerald D.; Rathkolb, Oliver; Venus, Theodor; Zimmerl, Ulrike
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
2019 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Kopper, Fakultät für Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld

Bücher haben ihre Schicksale – und manche ein ganz besonderes. Dieses Monumentalwerk verdankt sein Entstehen einer Klage von Holocaust-Opfern vor einem New Yorker Gericht. Die Bank Austria Creditanstalt als Rechtsnachfolgerin der größten österreichischen Kreditinstitute wurde durch die Gerichtsentscheidung verpflichtet, eine unabhängige Historikerkommission einzurichten und die Ergebnisse dieser Kommission zu publizieren.

Welchen Erkenntnisfortschritt bringt eine Geschichte des österreichischen Kreditwesens im Nationalsozialismus, nachdem bereits umfangreiche Studien zur Geschichte der Deutschen Bank und der Dresdner Bank erschienen sind?1 Während die bisherigen Untersuchungen vor allem den Konkurrenzkampf um die Übernahme der österreichischen Banken und die umfangreichen Industriebeteiligungen der Creditanstalt (CA) aus der Perspektive der deutschen Großbanken untersucht haben, konzentrieren sich die Verfasser/in auf die Handlungsperspektive der österreichischen Bankenvorstände. Während die CA auf ihren eigenen Wunsch von der Deutschen Bank übernommen wurde, konnte die Dresdner Bank ihre österreichische Tochter Mercurbank mit der „arisierten“ Länderbank zu einem größeren Institut fusionieren.

Gerald D. Feldman zeigt, inwieweit die CA und die kleinere Länderbank auch nach der Übernahme durch Berliner Großbanken eine eigenständige Geschäftspolitik in Österreich und im besetzten Ostmitteleuropa verfolgen konnten. Er kommt zu dem durchaus überraschenden Ergebnis, dass sich die CA keinesfalls auf ein passives Verhalten gegenüber den Herausforderungen durch den Staat und die deutschen Großbanken beschränken musste. Sie vertrat ihr Interesse an einer Geschäftsausdehnung in das Protektorat Böhmen-Mähren, in die Slowakei, das Generalgouvernement und Jugoslawien ausgesprochen selbstbewusst gegenüber der neuen Mehrheitseigentümerin Deutsche Bank. Der Vorstand der CA verteidigte seine Spielräume bei der Organisation des Geschäftsbetriebes und bei der Gestaltung des Auslandsgeschäfts relativ erfolgreich gegen Interventionen aus Berlin.

Nach dem „Anschluss“ gelang es dem „arisierten“ Vorstand der CA im sich ständig verschiebenden polykratischen Machtfeld aus Görings Amt für den Vierjahresplan, dem Reichswirtschaftsministerium, den österreichischen Gauleitern und Wirtschaftsfunktionären sowie dem Reichskommissar für die Vereinigung Österreichs mit dem Reich, seine Wunschoption nach einer Annäherung an die Deutsche Bank gegen den Widerstand von Görings Emissären durchzusetzen. Gegenüber der Deutschen Bank konnte die CA ihre Interessen nach einer nennenswerten Beteiligung am Bankgeschäft im Protektorat, im Generalgouvernement und in Jugoslawien zumindest teilweise behaupten. Auch gelang es dem rein österreichischen Vorstand der CA die Position als führendes österreichisches Regionalinstitut mit internationalen Bindungen in die Kron- und Erblande der ehemaligen Donaumonarchie zu verteidigen. Die durch die Moskauer Erklärung der Alliierten (1943) legitimierte These der traditionellen österreichischen Historiografie von der erzwungenen „Germanisierung“ des österreichischen Bankwesens und seiner Fremdsteuerung durch das politische und wirtschaftliche Machtzentrum Berlin wird durch die Verfasser/in in dieser ebenso differenzierten wie gründlichen Untersuchung stark relativiert. In seinem Kapitel über die Länderbank kommt Feldman zu einem anderen, aber dennoch überraschenden Ergebnis. Obwohl die Dresdner Bank dank ihrer fast 100% Kapitalbeteiligung über die Länderbank dominierte, wurde sie weiterhin von österreichischen Bankern geleitet. Österreichische NS-Funktionäre konnten ihre personalpolitischen Wünsche gegen den Vorstand der Dresdner Bank oftmals durchsetzen.

Die Beteiligung an Unternehmens-„Arisierungen“ spielte im österreichischen Bankwesen eine noch größere Rolle als im übrigen Reichsgebiet. Binnen weniger Monate nach dem „Anschluss“ vollzog sich die „Arisierung“ von Unternehmen und Unternehmensbelegschaften im Zeitraffer, deutlich radikaler und brutaler als zuvor und zeitgleich im Altreich. In einem stärkeren Maß als die reichsdeutschen Banken traten die CA und die Länderbank als Erwerber von jüdischen Unternehmen auf eigene Rechnung auf und erzielten dabei Gewinne, welche die üblichen Provisionseinnahmen im „Arisierungs“-Geschäft im Altreich erheblich überstiegen. Vor sich selbst legitimierten die Direktoren und Vorstandsmitglieder der CA dies als den Vollzug eines Prozesses, der als ein „wilder“ Konfiskationsakt der nationalsozialistischen Aktivisten begann und von der Führung der österreichischen NSDAP in eine pseudolegale Bahn gelenkt wurde. Bei dem Kauf und Weiterverkauf von Aktien und Unternehmen aus jüdischem Besitz handelte es sich aus rein bankfachlicher Sicht um reguläre Wertpapier- und Konsortialgeschäfte. Da diese Transaktionen rechtlich und administrativ durch eine staatliche Vermögensverkehrsstelle abgesichert waren, wurde die Gewaltsamkeit dieses Vorgangs durch den trügerischen Schein geschäftlicher Normalität überdeckt. Der Bruch mit den ungeschriebenen Werten und Normen des Bankgeschäfts schien durch die Scheinlegalität und die plebiszitäre Legitimität der nationalsozialistischen Machtübernahme aufgehoben. Auch die Angestellten, die nicht an „Arisierungs“-Geschäften mitwirkten, wurden Zeugen der wirtschaftlichen Existenzvernichtung österreichischer Juden: Die Sperrung der jüdischen Konten und die Entlassung der zahlreichen jüdischen Angestellten ließen sich in der täglichen Berufspraxis kaum übersehen.

Während der vielfach ausgewiesene amerikanische Wirtschaftshistoriker Gerald D. Feldman (Berkeley) die zentralen Kapitel über die CA und die Länderbank verfasste, behandelt sein Wiener Kollege Oliver Rathkolb die bislang noch unerforschte Rolle dieser Banken in der Restitution jüdischen Vermögens und bei der Entnazifizierung ihres Managements. Obwohl die alliierten Militärregierungen und die österreichische Nachkriegsregierung die Rolle der österreichischen Banken während der NS-Zeit nie untersuchen ließen, wurden immerhin 50% aller Direktoren wegen ihrer politischen Belastung entlassen – deutlich mehr als unter ihren Kollegen in Deutschland. Die jüngeren österreichischen Zeithistoriker Ulrike Zimmerl und Theodor Venus beschäftigen sich mit den österreichischen Regionalbanken und der Wiener Zentralsparkasse. Sie vermitteln detaillierte Einblicke in die Interessenidentitäten und Konflikte zwischen den Gauleitungen und den Autonomieinteressen der Bankenvorstände.

Das zweibändige Werk ist eine Fundgrube für Fachhistoriker/innen, die sich mit der Geschichte des österreichischen Kreditwesens vom Ständestaat (1934-1938) bis in die Zweite Republik (ab 1945) beschäftigen und die Rolle der österreichischen Bankelite in der „Arisierung“ des Kreditwesens und in der gesamten Wirtschaft untersuchen möchten. Wer sich für die deutsche Perspektive interessiert, gewinnt interessante Einsichten in die Machtverhältnisse zwischen den deutschen und österreichischen Bankern und Wirtschaftsfunktionären. Sie waren nicht von einer einseitigen Unterordnung der Österreicher oder von einer erzwungenen Kollaboration, sondern von einer Kooperation zum gegenseitigen Vorteil geprägt. Sowohl die Deutsche Bank und die Dresdner Bank als auch ihre österreichischen Tochterinstitute gingen wirtschaftlich gestärkt aus dem „Anschluss“ hervor.

Wegen der fehlenden Zusammenfassungen an den Enden der Kapitel und des fehlenden Resümees fällt es den nicht spezialisierten Leser/innen jedoch schwer, sich in dieser so materialreichen Darstellung zurechtzufinden. Eine straffere Lektorierung mit einer stärkeren Orientierung an Leitfragen, ein knapperer Stil und der Verzicht auf eine manchmal übergroße Fülle an Narration und Information hätten den beiden Bänden gut getan. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Anmerkungen:
1 Henke, Klaus-Dietmar (Hg.), Die Dresdner Bank im Dritten Reich, 4 Bde., München 2006; James, Harold, The Nazi Dictatorship and the Deutsche Bank, Cambridge 2004 (auch dt.)

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